Dienstag, 5. Juni 2012

Auf und ab


1.6.2012
Sucre-Puente Arce

Nachdem der gestrige Abend in Völlerei und Halbtrunkenheit endete, fällt das Aufstehen heute verblüffend leicht. Kein Wunder, rücksichtslose Zeitgenossen poltern sehr früh im Hostal umher, also fange ich an mein Zeugs, das nach drei Nächten schon gut verteilt ist, zusammen zu packen.
Der Abschied von Sucre fällt leicht, wir hatten ziemlich viel Städte in den letzten Tagen, überall war es auf die eine oder andere Art schön, aber jetzt lockt wieder der Ruf der Wildnis. In der Stadt müssen wir noch über ein paar Wellen, dann lassen wir die weniger schönen Randbezirke hinter uns und genießen wieder den Blick in die Ferne. Auch der heutige Tag steht im Zeichen des Höhenmeter vernichtens. Mit reichlich knackigen Gegenanstiegen fallen wir von 2800m auf 1500m, das Alles verteilt auf ca. 90km. Ab morgen ist dann wohl erstmal wieder ernstes Klettern angezeigt, das Höhenprofil verspricht einiges...
Dafür haben wir heute, trotz des am Morgen bedeckten Himmels, mit sommerlichen Temperaturen – immer dran denken, hier ist WINTER!!! - und einem weiteren Feuerwerk an Landschaft, Farbe und Vegetation unseren Spaß. Zu guter Letzt stellen wir erstmals seit langem wieder unser Zelte auf. Auf einer Wiese am Fluß, auf der tagsüber Esel, Schweine und Ziegen weiden, kochen wir endlich Spaghetti, die schon seit San Pedro de Atacama als Ballast dabei sind. Dazu gibt es Bier, Schokobonbons und mal wieder einen Sternenhimmel, der nur von dem viel zu hellen Mond gestört wird.

2.6.2012
Puente Arce-Alquile

Gut geschlafen hab ich, das steht mal fest. Ansonsten lässt sich der Radtag in Kurzform etwa so beschreiben:
Wetter: Bombig, fast zu warm
Landschaft: Mal wieder wie Südfrankreich (glaub ich)
Straße: Bergauf, mittelfiese Piste, einiges an Fluchpotential
Etwas ausführlicher:
Schon beim Abbau des Zelts ereilt mich der erste Schweißausbruch, ich starte den Tag ohne Trikot, dafür habe ich jetzt eine neue, rote Kante am Arm...Da wir nach Norden unterwegs sind, werde ich von vorne gegrillt, während mein verschwitzter Rücken von einem leisen Lüftchen soweit gekühlt wird, das die Rückenschmerzen von neulich wieder auftreten. Mist. Trikot anziehen hilft, ändert aber nix am Straßenzustand. Ziemlich holperig, irgendwo liegt immer ein loser Stein, der das Rad unkontrolliert versetzt, wenn man drüber fährt, Luft ablassen bringt auch keine echte Besserung. Dazu steigt die Straße, wie angekündigt, permanent an, wir holen uns heute gut 1000hm von den gestern verbrannten wieder. Die ständige Suche nach der glattesten Spur wird dadurch erschwert, das jedes Auto und jeder LKW eine Staubfahne aufwirbeln, die einen mit Sichtweiten um die 25m beglückt. Natürlich sehen Mann und Maschine entsprechend aus, den ganzen Tag knirscht es zwischen den Zähnen. Diese Bedingungen fordern natürlich volle Konzentration auf die Straße, daher heute kein einziges Foto und auch nur bei den wenigen Pausen an schattigen Stellen ergibt sich Gelegenheit, mal um sich zu schauen. Piste fahren ist zwar irrsinnig authentisch, aber ein Fan werde ich wohl nicht mehr...;-)
Nach „nur“ 52 km endet der heutige Radtag mit warmer Dusche in Alquile, vollmundig angekündigt als „La Municipal de Charango“. Was das ist? Wusste ich bis vorhin auch nicht, es handelt sich offensichtlich um eine Art Zwerggitarre mit 8 Saiten, die hier in größerer Stückzahl hergestellt wird...Ohne Netz kein Wikipedia...

3.5.2012
Alquile-Epizana

Ein fauler Tag. Erst bis halb neun pennen, dann nur 32km fahren, um sich dann chauffieren zu lassen. Aber das musste so. Aus Alquile rollt man schon nicht auf der besten Straße, aber danach wird es erst richtig lustig. Der Stolz der bolivianischen Steinsetzerinnung breitet sich vor uns aus. Ein Band aus bösem Katzenkopfpflaster, in einer gepflegten Viererreihe an die Landschaft geschmiegt, über Berg und Tal, kein Ende absehbar. Das Ende kommt dann irgend wann, nach nur 74km, in Totora, einem Marktflecken, eingebettet in grüne Hügel (die freilich alle ca. 3000m hoch sind). Aber die ganze Show geben wir uns nicht, der erste LKW, der des holperigen Weges kommt, hält an und erlöst uns von Popo-Aua, schmerzenden Handgelenken und beginnenden Rückenschmerzen. Für umgerechnet 3€ pro Nase eine preiswerte Alternative, zumal man von der Ladefläche unseres Taxis prima knipsen kann, was sich heute mal wieder lohnt,und außerdem Sachen sieht, die einem auf dem Rad wohl verborgen geblieben wären. Und sowieso wollte ich schon immer mal so auf einem Laster mitfahren.
Epizana ist eigentlich nicht viel mehr als eine Kreuzung auf 2900m, aber hier gibt es Pension, ein paar Lädchen und vor allem Asphalt :-) Kaum eingecheckt, trifft ein weiteres Reiseradlerpaar ein, nach kurzem Geplänkel auf Englisch stellen wir muttersprachliche Gemeinsamkeiten fest. Sabine und Klaus, eigentlich aus dem Rheinischen kommend, sind inzwischen den größten Teil des Jahres als Reiseleiter in Neuseeland tätig, Bei Essen und Bier wird fröhlich geplaudert, ein netter Abend!

4.6.2012
Epizana-Punata

Die halbe Nacht donnert uns die neue Karaokemaschine der Herbergsmutter alle nur denkbaren und undenkbaren Songs durch die Decke, nur mitsingen tut niemand, oder halt zu leise. Der Chefin ist es egal, die Bude ist voll, und sie feiert den Neuerwerb kräftig mit, woraufhin sie bei unserer Abreise echte Nöte hat, die Zimmerrechnung von uns und den anderen Radfahrern getrennt zu betrachten...Jaja, Teufel Alkohol ;-)
Wir verabschieden uns von Sabine und Klaus, die in die andere Richtung, nach Santa Cruz, weiterfahren, während unser Weg erst mal eine mehrstündige Kletterei westwärts durch ein echt hübsches Tal bereithält. In einer kleine Welle zum warmwerden und einer großen für die Höhenmetersammlung kurbeln wir uns auf gut 3700m, die im Anschluss sofort wieder verbrannt werden. Unser heutiges Tagesziel, Punata, liegt sogar noch etwas tiefer als der Start auf einer Hochebene, die auf den ersten Blick keine Augenöffner zeigt. Dafür sind wir in der Abfahrt beinahe vom Winde verweht worden, Erinnerungen an die Befahrung des Mont Ventoux werden wach, bei einem Fotostop schiebt es derartig von hinten, das ich die Bremse festhalten muss, um nicht gemeinsam mit dem Packesel in den Abgrund geweht zu werden – heftig!

5.6.2012
Punata-Cochabamba

Das Bett eine Wanne, die Hunde überaufmerksam, irgendwas am Abendessen schlecht...keine gute Nacht. Mit Übelkeit im Bauch und Schmerzen im Rücken kommt es grade recht, das Cochabamba nur noch 45km weit weg ist, und das meist bergab. Der Weg über die schon erwähnte Ebene ist unspektakulär, stark befahren und – Überraschung: Pan Americana!!! Da waren wir zwar gestern auch schon drauf unterwegs, aber das hatte ich nicht realisiert.
Der erste Eindruck von Cochabamba ist laut, stinkend, voll. Da meine Aufmerksamkeit vorläufig stark auf Porzellan fokussiert ist, fällt der Nachmittagserkundungsgang aus...
Aber da wir morgen auch noch hier bleiben, wird sich schon noch eine Gelegenheit ergeben die als Boomtown beschriebene Halbmillionenstadt wenigstens im Ansatz besser kennen zu lernen.


Pics:

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Tracks:

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2 Kommentare:

  1. ... scheint ja echt als lerntet ihr das wahre Leben dort kennen! Was will man mehr? (ok, ASPHALT vielleicht... das Katzenpflaster sieht ECHT fies aus!) Wünschen weiterhin weich polsternde und doch leicht rollende Reifen und nen starken Po!

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  2. Daphne & Niels6. Juni 2012 um 11:21

    Ich befürchte wir können uns nach Deiner Rückkehr nicht mehr in Deinem Windschatten verstecken - wenn Du schon von einem lauen Lüftchen fast weggeweht wirst ;-)

    Wir beneiden Dich jedenfalls um die tollen Erfahrungen, Ein- und Ausblicke.

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