Donnerstag, 31. Mai 2012

Abwärts ins Warme

27.5.2012
Potosi

Aaaah – Ausschlafen! Danach das zugegebener Maßen etwas schmale Hotelfrühstück, dann Mailcheck, gibt’s schon Reaktionen auf das letzte Blogpost? Nachdem der Akku des Netbooks in die Knie geht, treibt es mich auch auf die Straße. Zum einen muß ich noch die Ingredienzien für unser Frühstück unterwegs, Haferflocken und Milchpulver, auffüllen, zum anderen will ich natürlich auch was von der Stadt sehen. Potosi hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich, in der sich fast alles um die Schätze des „Hausberges“, des Cerro Rico dreht. Schon früh wurde Silber gefunden, und die Spanier beuteten die Vorkommen sogar unter Zuhilfenahme von afrikanischen Sklaven aus. Als Resultat dieser Zeit hat die Stadt eine wunderschöne Altstadt mit vielen kolonialen Bauten. Auch unser Hotel gehört dazu.
Wie anscheinend überall in Südamerika ist sowas wie ein Ladenschlussgesetz fremd, auch am Sonntag hat fast alles offen, nur während der Siesta bleiben nur die zahlreichen Handyshops offen.
Nach einigem Rumgelatsche finde ich einen der typischen Märkte in mehreren großen Hallen. Auch hier herrscht am Vormittag noch gemäßigte Betriebsamkeit, aber ich kriege was ich will und kann mich dann wieder dem Müßiggang widmen:-) Nachdem ich auf dem Weg vom Markt mehrfach von einer kirchlichen Prozession aufgehalten werde, sitze ich jetzt wieder im Cafe und freue mich auf ein schönes Stück Kuchen und einen leckeren Cafe con Leche...
Da es die indigene Bevölkerung, die hier den Hauptanteil stellt, nicht leiden kann, photographiert zu werden, und ich auch nicht wie der letzte Tropf hier rumknipsen mag, gibts davon leider keine Bilder.

28.5.2012
Potosi-Millares

Während sich zu unchristlichen Zeiten die ersten Rucksackträger zum Frühstück drängeln, packen wir erstmal die Räder. Als wir mit unserem Morgenmahl fertig sind, stehen Menschen in Verkleidung im Patio des Hotels rum: Originale Minenarbeiterbekleidung ist Pflicht für den Besuch der Stollen.
Wir verlassen das Gehöft in Richtung Sucre, dem Regierungssitz Boliviens. Das sind ca. 160km, also 2 Etappen, von denen die erste in fast schon schmerzhafter Weise Höhenmeter verbrennt. Von fast 4000m plumpsen wir mit einigen unbedeutenden Gegenwellen auf 2300m, zum morgigen Tagesziel Sucre müssen wir dann nochmal auf 2800m klettern.
Hier „unten“ im Tal ist es sommerlich warm, eine echte Wohltat nach den eisigen Tagen. Auch verschwinden mittlerweile normale Dinge aus dem Bild: Lamas, Vicunas und sonstige Hochlandbewohner werden durch Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner und Schweine ersetzt, alle laufen irgendwie frei umher. Auch das aus Chile bekannte Hundethema kommt wieder auf.
Die Strasse ist immer noch vom allerfeinsten, die heutigen Abfahrten machen den Wunsch nach meinem Rennrad größer. Wer zu viel Geld hat, und nicht weiß, wo er sein nächstes Höhentrainingslager machen soll: Zwischen Uyuni und Sucre geht was...
Der heutige Abschnitt endet in Millares, einem winzigen Ort, der nicht mal auf der Karte zu sehen war. Etwas über 100km sind um, wieder einmal gab es krasse Wechsel in Landschaft und Vegetation, fast zu viel für einen Tag, obwohl die Fotoausbeute eher schmal ausfällt. Wir finden eine Pension, wo lustig gefeiert wird: Der Dia de la Madre scheint etwa so zu funktionieren: Erst werden 2 Tage lang Torten gefressen, und am dritten Tag saufen sich die Mütter richtig einen an. Ich werde zum tanzen genötigt, Bier fließt in Strömen, kurze Zeit später weinen die Madres aus mir unbekanntem Grund, dann wird zum Trost weiter geschluckt. Um 19:30(!) treten wir den strategischen Rückzug an, die Muddis sind sternhagelvoll, es wird wieder geweint...Der Wunsch nach einem echten Kontakt zu den Leuten kann kaum besser erfüllt werden...

29.5.2012
Millares-Sucre

Die Nacht war die wärmste seit langem, nur mit dem Seideninlet für den Schlafsack penne ich bis zum Morgengrauen auf der etwas seltsamen Matratze, deren Qualitäten mir den ganzen Tag zu schaffen machen werden. Die Dame des Hauses ist offensichtlich leicht angeschlagen von den Exzessen des vergangenen Abends, kurz angebunden und mürrisch gibt sie uns heißes Wasser für das Frühstück und nimmt ebenso die lächerlich erscheinende Bezahlung für Abendessen, Bier und Unterkunft entgegen. Erst beim Abschied lächelt sie wieder...
Der weitere Weg nach Sucre schraubt sich gemächlich mit kleinen Zwischenabfahrten in die Höhe, Millares liegt auf 2300m, unser Ziel auf 2800m. Dank der Matratze gestalten sich die Anstiege für mich schwierig, da die Rückenschmerzen kraftvolles Treten nur bedingt zulassen. Sehr ärgerlich, wenn man das erste Mal seit langem wieder genug Luft zur Verfügung hat um genau das zu tun...
Die Landschaft ist schön, Erinnerungen an Südfrankreich werden wach. Nur 2000m zu hoch:-) Kurz nach dem Start kommt uns ein Rennradler entgegen, offensichtlich auf Trainingsrunde, später kommt er noch mal von hinten vorbeigezischt – Neid!!! Aber wie schon erwähnt: Gutes Revier...
Kurz vor Sucre liegt rechts der Straße ein Schloss, anscheinend hatte irgendwer zuviel Geld. Bei genauerer Betrachtung gehört das Bauwerk zu einer militärischen Anlage, auf einem Platz trabt eine Kompanie Uniformierter dahin, während sich an anderer Stelle einer am Barren befleißigt und prompt auf den Arsch fällt. Schadenfreude hat immer noch was, erst recht wenn einem selber der Buckel zwackt...
Die erste Begehung in Hostelnähe zeigt uns eine bunte, quirlige Stadt mit allem drum und dran, wie es aussieht, werden wir 3 Tage hier bleiben um das zu erkunden.

30.5.2012
Sucre

Der erste Eindruck hat nicht getäuscht! Hier ist wirklich was los. Ähnlich wie auch schon Potosi glänzt die Stadt mit vielen Kolonialbauten. Sucre ist mit gut 200000 Einwohnern für bolivianische Verhältnisse schon eine echte Metropole und außerdem Boliviens Regierungssitz. Das macht sich auch in starker Polizei- und Militärpräsenz bemerkbar, allerdings ohne bedrohlich zu wirken. Unerwartet viele Frauen stecken in den Uniformen. Der Mercado Central ist eine weitere typisch südamerikanische Markthalle, hier gibts alles, wenn man weiß, wo man suchen muss. Neben frischen Lebensmitteln aller Art und allen möglichen Haushaltsartikeln gibt es hier auch jede Menge Fressbuden, wo Frauen verschiedenste Leckereien und auch sauleckere Milchshakes frisch zubereiten.
Im Augenblick sitze ich in einem Restaurant am Plaza 25 de Mayo, und draussen zieht, obwohl es mitten in der Woche ist, die dritte Marschkapelle vorbei, die mehr laut als schön kann, aber das macht nichts, jede Menge Leute laufen mit. An den Ampeln, die tagsüber eher Empfehlungscharakter haben, regeln Polizistinnen(?) in Zebrakostümen den Verkehr – verrückt, aber schön...

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Sonntag, 27. Mai 2012

Auf der Höhe...


14.5.2012
San Pedro de Atacama-Bergauf

Mehr als pünktlich packen wir unsere Sachen und machen uns auf den Weg zur chilenischen Zollstation, die wieder erwarten nicht an der Grenze zu Bolivien liegt, sondern am Ortsausgang von San Pedro. Pünktlich deshalb, weil ein vollständiger Reisebus hinter uns in der Schlange Aufstellung bezieht. Außerdem gibt es ein kurzes Gewinke mit einem Erfurter, der uns etliche Tage zuvor, freundlicherweise dolmetschend in einer Posada zur Seite stand.
Dann auf die Räder und die vermeintlich kürzeste Etappe aller Zeiten beginnt. Im Südamerika-Radreise-Buch ist der zu erklimmende Pass Hito Cajon als der härteste, brutalste Anstieg der Welt beschrieben. 2200Hm sind zu überwinden, dafür stehen 45km zur Verfügung, wovon die ersten 15 allerdings kaum merklich mit 1-3% ansteigen. Dann beginnt der Spaß: Permanent zwischen 6 und 10%, die schiere Länge, die stetig zunehmende Höhe, San Pedro liegt schon auf 2500m, die durch den erforderlichen Lebensmitteleinkauf und Wasservorrat noch schwereren Räder und die mit zunehmender Höhe fallende Temperatur geben dem Buch recht. Noch NIE hab ich mich derart geschunden!!! Gegen Ende mache ich alle 500m eine Pause, um Atmung und Puls wieder in den Griff zu kriegen. Üblicherweise liege ich dabei japsend mit dem Rücken auf dem wärmenden Asphalt. 3950m über dem Meer, nach nur 35km endet die Tortour, und wir bauen unsere Zelte an einer leerstehenden Lamahirtenhütte auf. Um 19:00 ist das Sonnenlicht aus, die Temperatur geht in den Sturzflug über. Nach wenigen Minuten zeigt das Thermometer schon -2°C. Gottseidank sind wir schon gefüttert und mit hilfreichem Cocatee getränkt, und so ziehen wir alle warmen Sachen an, die wir haben, und verziehen uns in die Schlafsäcke. Nach zwei Seiten fällt mir das Buch auf die Nase, und ich schlafe ein.

15.5.2012
Bergauf-Laguna Verde

1. Heute sind wir genau einen Monat unterwegs! 2. Gestern war nicht die kürzeste Etappe.
Erst um 8:00 kriechen wir aus unseren Zelten, die Nacht war ziemlich kühl, aber die ersten Sonnenstrahlen wärmen bereits deutlich. Nach Frühstück und packen geht es an die verbliebenen 750hm bis zum bisher höchsten Pass meines Lebens. Heute hat Bettina die schlechteren Beine, und so gehen wir das Reststück sehr ruhig an. Den Lenker bei 4km/h gerade zu halten ist fast so anstrengend, wie das pedalieren selbst. Zusätzlich wird der Wind, der immerhin schiebt, immer kälter. Kein Wunder, wir nähern uns der 4700m-Marke. Am Pass endet der Asphalt, auf Sandpiste geht es bergab zur chilenisch-bolivianischen Grenze. Da steht im Nichts ein Haus, da sitzt ein als solcher kaum zu erkennender Grenzer, der lässt uns ein Formular ausfüllen, haut uns einige Stempel darauf und in den Pass, dann wird noch kurz geschwatzt, und wir rollen die verbleibenden 5km zur Laguna Verde, wo wir als erstes den Eintritt in den hier beginnenden Nationalpark bezahlen (150 Bolivianos, ca. 15€) um dann im hiesigen Refugio einzuchecken. Das ist ein einfaches Domizil, aber ein Dach über dem Kopf, denn der Wind hat extrem aufgefrischt, und selbst dieses aus Vulkangestein gebaute, unbeheizte Haus ist ist besser, als im Zelt schockgefrostet zu werden. Nach nur 23km auf 4400m ist diese Etappe beendet. Den Abend verbringen wir, dick eingemummelt mit viel Tee und leckerem Essen, mit Christian und Tamara, ein Pärchen aus Österreich, die uns mit Tips für die weitere Fahrt versorgen. Die beiden stehen um 3:00 auf, um den benachbarten Vulkan Licancabor zu besteigen...

16.5.2012
Laguna Verde-Thermas Chalviri

Da die „Arbeitskleidung“ gestern Abend mit ins Bett durfte, ist der Einstieg heute nicht allzu schwer. Vorgewärmte Klamotte bringt Punkte!! Sowieso kommen heute alle möglichen winterlichen Bekleidungsstücke zum Einsatz, die gestrige Frostattacke hat uns sensibilisiert. So verlassen wir die Laguna Verde, die heute morgen wirklich grünlich schimmert, auf einer halbwegs holperigen Piste. Ein weiteres Mal gilt es die 4700m-Marke zu knacken, was deutlich leichter fällt als gestern. Kein Wunder, sind ja nur 300hm...aber geschnauft und geschoben wird trotzdem, teilweise ist die Piste sehr tief und an fahren ist nicht zu denken. Kurz hinter dem Pass finden wir ein windgeschütztes Plätzchen zum Mittag. Ein weiteres Mal verschlägt uns die neue Aussicht den Atem, vor allem, da die der letzten Tage stets durch den Licacanbur dominiert wurde. Kurze Zeit später erreichen wir die Dali-Steine, verrückte Felsformationen, die an Werke des Meisters erinnern. Wenige Holterdipolterkilometer später, inklusive Wasserflaschenverlust, erreichen wir Thermas Chalviri, wo wir als erstes in den 35°C warmen Thermalquellenpool hüpfen. Was für eine Wohltat mit grandiosem Panorama! Übernachtet wir heute auf dem Fußboden der Touristenabfütterungseinrichtung, morgen müssen wir um 6:00 aus den Federn sein, weil kurz danach die ersten Jeeps voll Badegäste eintreffen werden...

17.5.2012
Thermas Chalviri-Laguna Colorada

Um 5:00 fangen die Vorbereitungen für die Badegäste tatsächlich an. Kurz bevor die Ersten auftauchen, sind wir schon in Kluft und frühstücken. Der Wechsel des Landes fällt deutlich auf. In Chile hätte jede Thermoskanne heißes Wasser extra gekostet und für den Schlafplatz auf dem Fußboden wäre wahrscheinlich auch noch was fällig gewesen. Aber wir sind ja jetzt in Bolivien, und so verlangt der Chef müde 60 Bolivianos (ca. 6€) für das sehr leckere Abendessen und eine 2l Flasche Wasser,die wir mitnehmen.
Wer früh aufsteht, kann zeitig losfahren, um 8:30 sitzen wir auf den Rädern. Die Piste ist, wie angekündigt, kein Zuckerschlecken, stetig steigen wir auf, um bei Sol de Manana, dem höchstgelegenen Geysirfeld der Welt auf 4920m berechtigterweise schon ziemlich im Eimer zu sein. Und das nach nur 23km...Die letzten Nächte haben gezeigt, das es auf jeden Fall besser ist, ein festes Bauwerk für die Nacht zu haben, und so entschließen wir uns, zur Laguna Colorada abzufahren. wo sich ein Refugio befindet. Die Strecke ließ ja schon im Anstieg einiges zu wünschen übrig, aber jetzt wurde es richtig böse. Abwechselnd tiefer Sand, dicke Gesteinsbrocken und Waschbrettpassagen schütteln uns übel durch, und in mir kommt die Frage auf, was ich in meinem letzten Leben falsch gemacht habe, um so bestraft zu werden ;-) Aber immer wieder diese umwerfenden Ausblicke und zwischendurch doch noch eine ziemlich spaßíge Abfahrt. Die Laguna Colorada, die wir schon von weit oben sehen können, liegt strahlend rot im Tal (auf 4350m), umgeben von grünen Bergen. Nur haben heute die schönen Augenblicke fast nicht gereicht, um den Ärger über die hundsmiserable Straße zu kompensieren...

18.5.2012
Laguna Colorada

Nach den Strapazen der letzten Tag entscheiden wir spontan, einen Ruhetag einzulegen, und über den weiteren Umgang mit der Lagunenroute nachzudenken. Nach einigem Für und Wieder entscheiden wir, das es angesichts der Nachttemperaturen und der Streckenbeschaffenheit vernünftiger ist, einen Transport mittels Auto für den Rest der Strecke zu organisieren.
Aber vorher wandern wir noch zur Lagune, und bestaunen Flamingos in freier Wildbahn, die im roten Wasser umherstelzen.

19.5.2012
Laguna Colorada-Puerto Chuvica

Wie schon angekündigt, haben wir tatsächlich die Räder auf zwei Geländewagen geschnürt und rasen wie die Bekloppten durch diese dafür eigentlich viel zu schöne Landschaft. Die Autos sind bis auf jeweils einen Platz mit einer Eiltouristengruppe besetzt, und der Fahrer hält plangemäß an allen Sehenswürdigkeiten der Strecke. Diverse Lagunen, mit und ohne Flamingos, teils streng nach Schwefelsäure riechend, seltsame Gesteinsformationen, vielfarbige Berge, rauchende Vulkane und ein Salzsee ziehen binnen eines Tages blitzschnell an uns vorbei.
Unterwegs überholen wir zwei andere Reiseradlerpaare, ein wenig peinlich ist das schon...
Die rasanteste Etappe endet nach gut 250km in Puerto Chuvica, von wo aus wir morgen auf den Salar de Uyuni starten wollen.

20.5.2012
Puerto Chuvica-Rio Grande

Zeitig rumort es in unserm aus Salz gebauten Domizil, die Eiltouristen wollen um kurz vor 7:00 auf dem Salzsee sein, um den Sonnenaufgang zu bewundern. Wir lassen es etwas ruhiger angehen, die heutige erste Etappe über den Salar zur Isla Incahuasi ist nur 40km lang. Der Anfang des Weges besteht aus einem angeschütteten Deich, und schon bald zeichnet sich Ärger ab: Ziemlich viel Wasser steht auf der Oberfläche, was die Befahrung des Salars für uns unmöglich macht. Erstens ist das Salz unter Wasser eine sulzige Pampe, und zweitens würde die Salzlauge erheblichen Schaden an den Rädern verursachen. MIST!!! Das ist extrem Schade, denn gerade auf die Befahrung des Salars hatte ich mich ganz besonders gefreut:-( Also umkehren und die Alternativroute auf dem Festland nehmen. Die ist natürlich bei weitem nicht so spektakulär, viel länger und außerdem besteht sie aus ziemlich viel tiefem Sand, Wellblech, oder beidem... Zur Versöhnung gibt es aber doch noch ein Stückchen Salzsee, auf dem es auch recht ordentlich rollt, und kurz vor Einbruch der Nacht (18:00 ist Sonnenuntergang...) erreichen wir das Minendorf Rio Grande, wo wir, in Ermangelung jeder Form kommerzieller Übernachtungsmöglichkeiten, von einer extrem gastfreundlichen Laden- und Restaurantbesitzerin für die Nacht aufgenommen und auch noch gefüttert werden.

21.5.2012
Rio Grande-Uyuni

Nach Frühstück und Abschiedsfotos steht heute ein ziemliches Stück Arbeit an: Gut 100km trennen uns noch von Uyuni, mindestens die ersten 30 davon weiterhin recht unkomfortable Piste. So schlimm ist das dann aber doch nicht, es rollt verhältnismäßig gut und wir erreichen die nächstgrößere Straße nach zwei Stunden. Ab da ändert sich an der Streckenbeschaffenheit einiges. Die Straße ist deutlich breiter und über etliche Kilometer frisch planiert, aber der einsetzende Seitenwind hindert uns an einer flotteren Gangart, die letzten 2 Stunden dehnen sich wie Kaugummi, zumal man das Ziel schon aus ewiger Ferne sieht. Außerdem macht das Sitzfleisch Probleme. 170km Holterdipolter an zwei Tagen sind halt schon böse...
Abends jagen wir ein Lamasteak, und in dem Restaurant treffen wir zwei australische Reiseradler, Dan und Dylan, mit denen wir bei viel Essen, Wein, Bier und zum Schluß einer Pina Colada bis spät in die Nacht – das heißt für uns bis kurz nach 11 – quatschen. Ein schöner Abend nach einem anstrengenden Tag.

23.5.2012
Uyuni

Nach zwei Tagen abhängen in Uyuni, einer stark touristisch erschlossenen Stadt am südöstlichen Ende des gleichnamigen Salars, sind wir froh, morgen wieder auf die Räder zu kommen. In Uyuni selbst geht garnix. Fast ausschließlich Pizzaläden, ein wüstes Gerenne von Eiltouristen mit großen Rucksäcken, viele Franzosen und Israelis, aber auch viele andere Nationen sind vertreten. Überall stehen die schon bekannten Jeeps umher, die die Menschenmassen zu den Attraktionen verfrachten.
In einer Markthalle und auch davor verkaufen Frauen in traditioneller Bekleidung – Knielanger Rock, Melone auf dem Kopf, Poncho um die Schultern – alles mögliche an Fressalien, Klamotten und sonstigem täglichen Bedarf. Außerdem hat die Stadt einen Militärstützpunkt, daher sind recht viele Uniformen unterwegs. In den Internetläden kann man nicht mit seiner eigenen Kiste ins Netz, die Benutzung der USB-Ports, wenn überhaupt vorhanden, ist strengstens untersagt. Daher ist dieser Blog-Post auch ganz schön lang, weil so richtig ins Internet kommen wir dann wohl erst wieder in Potosi, der (angeblich) höchstgelegenen Großstadt der Welt. Für heute Abend haben wir uns als Speisestätte das La Loco ausgesucht, da steht nämlich ein großer offener Kamin, und es gibt daumendicke Lamafilets – mjam. Das mit dem Kamin ist deshalb wichtig, weil es hier einfach saukalt ist, da stets ein eisiger Westwind über das Altiplano weht. So sind wir gut durchgebraten und mit leckerem bolivianischem Rotwein befüllt ins ebenfalls eiskalte Bettchen gefallen.

24.5.2012
Uyuni-Ticatica

Irgend ein Schlauberger hat uns an einer der Lagune erzählt, die Straße von Uyuni nach Potosi sei zu 99,5% neu asphaltiert, was uns freut, denn in der Landkarte ist die noch als Piste markiert. Lieber Fremder: Wenn ein Weg 200 km lang ist, und 20km davon sind Baustelle mit Schotter und tiefem Sand, sind das 10%, also nur 90% sind asphaltiert...in Mathe gepennt, was? Genau diese ersten 20km beinhalteten dann auch den fiesesten Anstieg des Tages...Danach malt sich Freude in unser Gesichter, nigelnagelneuer Asphalt breitet sich vor uns aus, das erste Mal seit vielen Pistenkilometern. Zusätzlich haben wir mächtigen Schiebewind, es geht leicht bergab, die Landschaft wird immer schöner, und dank sinkender Höhe steigt die Temperatur. Plötzlich kommen winzige Ansiedlungen in rascher Folge, es gibt wieder Bäume, größere Lamaherden grasen an den Hängen. Der Weg führt uns über eine länger Strecke ein fast trockenes Flusstal herab, die Fotostops nehmen deutlich zu, mal wieder völlig neue Aussichten wollen eingefangen werden. In Ticatica, nach 85km, finden wir ein Domizil für die Nacht.

25.5.2012
Ticatica-Aqua de Castilla

Der Tag ist eine würdige Fortsetzung des gestrigen. Zwar bleibt die Baustelle weg, aber als erstes ist wieder klettern angesagt. Aber der Wind bleibt uns freundlich gesonnen, und so rollen wir auf diesem perfekten Asphaltband weiter in Richtung Potosi. In einem winzigen Dorf scheuchen wir
gegen 11:00 eine Dame aus den Vorbereitungen für die Ladenöffnung auf, und frühstücken Kekse, Cola und leckerste Kartoffelküchlein. Weiterhin weiß man nicht so recht, wo man zuerst hingucken soll, hier wird einem in farbenfroher und tief beeindruckender Weise gezeigt, wie das mit dem Gebirge auffalten geht. Reizüberflutet kommen wir nach 75km in Aqua de Castilla an. Eine weitere Minenansiedlung mit Bahnanschluß, aber leider ohne Unterkunft für uns. 500m vor dem Ort steht noch eine Gastronomie, wir sind sicher, im vorbeifahren irgendwas von Pension an der Wand gelesen zu haben. Auf nachfragen und lautes jammern über die Kälte kriegen wir ein schmales Bett in einer ebenso schmalen Kammer angeboten. Dafür dürfen wir in der kuschelig warmen Küche sitzen, kriegen Tee und Suppe, und verbringen den Abend staunend, wie die drei Damen des Hauses
Kuchen in großen Stückzahlen produzieren, morgen ist „Dia de la Madre“ - Muttertag, da werden wohl viele Torten gebraucht. Gleichzeitig betrinken sich auf dem Hof einige Mineros in Windeseile, es ist schließlich Freitagnachmittag, Heavy Drinking gehört auch bei der bolivianischen Landbevölkerung zum guten Ton;-)

26.5.2012
Aqua de Castilla-Potosi

Nach einer nicht ganz so erholsamen Nacht auf der schmalen Bettstatt stehen nur noch ca. 50km bis Potosi auf der heutigen Agenda. Ganz genau weiß man das nicht, weil die neue Strasse an etlichen Stellen von der Alten abweicht, und noch nicht kartographiert ist. Weder Googlemaps noch OSM sind im Bilde, was für ein teergewordenes Schmuckstück die Bolivianer da in die nach wie vor unglaubliche Landschaft gebaut haben. Ein weiteres Mal geht es über 4000m hinaus, heute sind meine Beine nicht ganz so toll, aber das macht garnix. Wieso? Es gibt ja auch noch die Belohnung fürs bergauf fahren: Die Abfahrt! Also mal ehrlich: Für die Downhills der letzten drei Tage würden Großmütter und Seelen verkauft oder sonstige Dummheiten begangen werden (wenigstens durch die Rennradgemeinde).
Aber das dicke Ende wartet immer am Schluss, und so ist der allerletzte Anstieg des Tages, nämlich der zum Hotel in Potosi, der allerschlimmste: Bis zu 17% zwingen uns aus dem Sattel und machen verpönte Schiebearbeit von Nöten...tststs...Aber auch das hat sich gelohnt, das Hotel ist, wie alles in Bolivien, extrem preiswert, es gibt heiße Duschen, Frühstück ist in den 90 Bolivianos (9€) für das Zimmer mit drin, WiFi gibt’s auch und die Betten sind groß. Außerdem liegt es in der Altstadt, und so müssen wir zu den schönen Orten dieser Stadt nicht auf Berge kraxeln. Und zu allem Überfluss haben wir auch schon Kontakt mit den beiden Australiern aus Uyuni aufgenommen, da steht also noch ein schöner Abend ins Haus :-)

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Samstag, 12. Mai 2012

Go East!

8.5.2012
Antofagasta-Carmen Alto

Nach zwei herrlich faulen, aber eindeutig verdienten Tagen mit gutem Essen, Wein, Bier und ausschlafen, hat uns die Ruta 5 wieder. Nach ca. 5km Gewusel durch die Stadt klappt die Straße nach oben und ein Anstieg mit 6-10% Steigung bringt uns im Schneckentempo von 0 auf 450m. Schon ist das Trikot wieder schweissnass, die erholsamen Effekte der Ruhetage scheinen verpufft. Oben erwarten uns einige angenehme Überraschungen: 1. Rückenwind!!!, 2. An der Straße wird fleißig gebaut, so haben wir mehrmals etliche Kilometer frisch asphaltierte Panamericana für uns alleine. 3. Da, wo ein Ort auf der Karte ist, gibt es tatsächlich einen, inklusive Posadas. 4. Kleine Änderungen der Packordnung verbessern das Handling der Packesel deutlich. 5. RÜCKENWIND!
So klettern wir zwar ein wenig über 100km ohne Unterlass, aber die Bedingungen gewähren uns leichtes Spiel, um nach knapp 6 Stunden Fahrt durch, wie sollte es anders sein, Dreck, auf 1345m in Carmen Alto unsere Zelte unter der Pergola einer Posada aufzuschlagen. Hier verlassen wir auch nach gut 1000km (endlich) die Panamericana, ein Wiedersehen mit der vermeintlichen Traumstraße gibt es erst wieder im Norden Perus.

9.5.2012
Carmen Alto-Calama

7:00 Uhr, mal wieder, der Wecker hätte getrost aus bleiben können, der Verkehr am frühen Morgen ist sowohl auf der Panamericana, als auch auf der Ruta 25, die uns Calama bringen wird, beträchtlich. Auch die Posada und die benachbarte Tankstelle sind bestens besucht. Hier treffen wir auch den netten Trucker, der uns einige Tage zuvor mit Saft und Wasser geholfen hat, wieder. Zu unserem Bedauern hat der Wind über Nacht gedreht, und wird demzufolge erstmal gegen uns arbeiten. Die „neue“ Straße unterscheidet sich äußerlich natürlich kaum von der Ruta 5, aber die Landschaft schon. War in den letzten Tagen noch vieles naturbelassen, bis auf die Spuren des Straßenbaus, ist heute schnell klar, worum es in dieser Ecke geht: Ausbeutung von Bodenschätzen. Der Dreck rechts und links ist fast überall wenigsten einmal von einer Baggerschaufel bewegt worden, an manchen Stellen sieht man schon aus der Ferne Staubfahnen aufsteigen, ein klarer Hinweis auf intensive Erdbewegungsarbeiten. Da die Straße weiterhin eher verhalten ansteigt, und das zerfurchte Angesicht der Atacama eher abschreckt, ist das Motivationsniveau überschaubar. Bis wir bei ca. Kilometer 90 über einen Buckel mit Kurve kommen und sich ein majestätischer Anblick bietet: immerhin noch 25km vor uns liegt Calama auf der Hochebene, dahinter ist eine ganze Kette schneebedeckter Berge zu sehen. Da wir schon auf über 2000m sind, wir schnell klar, das das richtige Dinger sein müssen. Die Karte attestiert jedem einzelnen eine Höhe von teils deutlich über 5000m. Da stinken die Alpen mal schlicht ab. Ein Anblick, zum heulen schön, der Soundtrack zum Bild war Juli mit „Ich liebe dieses Leben“ - irgend wie passend. Da weiß ich plötzlich wieder GANZ genau, warum ich hierher wollte.
Die Unterkunftsfindung in Calama war zäh, irgendwie ist fast alles ausgebucht, zu guter Letzt haben wir aber mal wieder ein schnuffeliges Hostal gefunden. Jetzt liegen wir völlig platt und gut gefüttert auf den Betten, trinken Bier, essen Mäusespeck und werden wohl in Kürze zusammenbrechen.

10.5.2012
Calama

Der Hauptgrund, hier einen Tag Pause zu machen, war, das wir, dank Marco, die Chance hatten, die größte Mine der Welt zu besichtigen. Die Chuquicamata-Mine ist das größte Loch, was von Menschenhand gegraben wurde: 5km lang, 3,5km breit, 1km tief. Selbst, wenn man persönlich am Rand dieser Grube steht, sind das unvorstellbare Dimensionen. Riesige Trucks, Eigengewicht 450 Tonnen, mit 300Tonnen Gestein in der Kiepe, 4m hohe Räder, kriechen scheinbar im Schneckentempo in ameisengleichen Konvois die Rampen auf und ab. Rund um die Hauptmine gibt es noch diverse kleinere Abbaustellen, aber schon von der Stadt aus sieht man die Abraumhalden: Künstliche Berge, hunderte Meter hoch, und die wachsen noch, das seit 2008 leerstehende Minenarbeitercamp – in Wirklichkeit ein vollständiges Dorf mit Kino, Theater, Banken, Fußballplatz, etc... - wird irgendwann verschüttet sein. Da hat jemand gut zugehört, als es einmal hieß: „Macht euch die Erde untertan“.

11.5.2012
Calama-San Pedro de Atacama

Heute steht ein dicker Buckel im Weg: 3415m ist er hoch (Cime de la Bonnette? Ein Hügel...;-)), sagt mein Garmin. Wenn man von 2265m startet, ist das gar nicht mehr sooo viel - dachte ich...Echt böser Gegenwind lässt den Anfang der 60km bis zum Paso Barras Arana nicht eben flüssig angehen. Aber irgendwer hat Gnade, und schaltet den Ventilator aus. Da diese ganzen Vorberge in Chile zwar hoch, aber wenig zerfurcht sind, geht auch diese Straße den geraden, asphaltsparenden Weg, ohne echte Höchstschwierigkeiten in den Weg zu legen. Maximal 8%, und das nur für wenige Meter, killen einen nicht. Das macht dann die schiere Dauer des Aufstiegs, weil Senken mit Gefälle, wo man mal die Beine ruhen lassen kann, gibt es nicht. Nach dem wir schon den Weg von Antofagasta bis Calama auf diese Weise erleben durften, schockt uns das nicht, tut aber trotzdem weh im Bein...
AAABER!!! Kaum über den Pass, leistet die Atacama, nach so vielen Tagen verwüsteten Drecks, Entschädigung. (Die Staubfahnen und die Abraumhalden der Chuquicamata-Mine kann man übrigens noch aus 50km Entfernung erkennen) Aufregende Gesteinsformationen, in völlig neuen Farben, im Hintergrund vom Andenhauptkamm mit schneebedeckten Gipfeln verziert, lösen ein wahres Motivklingelmassaker aus! Selbst ich, der in Abfahrten ja sonst nichts anbrennen lässt, halte mehrmals an, um zu versuchen, diese schlicht unglaublichen Aussichten mit der Knipse einzufangen, wahrscheinlich mit minderem Erfolg – wer das in Echt will: Flüge nach Chile sind gar nicht so teuer ;-)
Jetzt lümmeln wir in unserem ausnahmsweise vorgebuchten Hostal in San Pedro de Atacama rum und freuen uns auf einen weiteren Ruhetag, der seltsamerweise auf Bettinas Geburtstag fällt...
San Pedro selbst ist ein in vielen Reiseführern als Touri-Abzocke verpönt, aber mal ehrlich: Ein 3000-Seelen-Kaff im Nichts, zufällig mit Wasser gesegnet, umgeben von irrsinniger Landschaft mit vielen wirklichen Highlights, wovon sollen die Leute hier leben? Da kann man sich auch darüber beklagen, das Ischgl so gar nicht authentisch ist...
Die nächste Meldung wird ein wenig auf sich warten lassen, da wir beschlossen haben, die Lagunenroute mit Schlenker über den Salar de Uyuni zu fahren, was wohl knapp zwei Wochen dauern wird. Internetzugang ist in diesem Teil Südboliviens eher unwahrscheinlich...

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Sonntag, 6. Mai 2012

Durch den Dreck gezogen

30.4.2012
Copiapo-Caldera

Nachdem morgens um 4:00 in unserem ziemlich schrottigen Residencial in Copiapo nach fast 20 Stunden ohne Strom plötzlich wieder das Licht angeht, – allerdings ein stadtweites Problem – springen wir aus den Betten, um die gebeutelten Akkus unserer Netbooks aufzuladen, denn ein weiterer Tag auf der Ruta 5, ohne echte Aussicht, ob die nächste Unterkunft Netz oder Strom haben wird, steht bevor. Ob diese Straße und ich jemals Freunde werden, bleibt ungewiss. Die ständig neue Landschaft, durch die sie uns führt, ist und bleibt der Hammer. Das sie uns heute die ganzen 78km bis Caldera, einem kleinen Touristenort an der Küste, mit Gegenwind von „Na doll“ bis „Mussdasdennwirklichseingrummelgrummelgrummel“ beglückt hat, ist ja eigentlich nicht Schuld der Strasse...Aber es ist und bleibt eine Autobahn, man fühlt sich nicht wirklich wohl auf dem Randstreifen. Trotz allem waren wir nach nur 4 Stunden am Ziel, ohne sonderlich dicke Beine, und haben uns, da die normalen Unterkünfte in der Spätsaison nochmal schnelles Geld machen wollen,
zur Abwechselung mal wieder bei der Feuerwehr eingenistet. DANKE an die Bomberos de Caldera. Auch hier sorgt erst das Wort „Aleman“ (Deutsche) dafür, das sich was bewegt. Die ursprünglich eher lethargische Dame im Wachbüro bekam leuchtende Augen und telefonierte die gesamte Hierarchie ab, um das O.K. für unseren Übernachtungswunsch einzuholen. Ansonsten sind die Chilenen eher reserviert, zu Gesprächen am Wegesrand kommt es faktisch nicht, auch wenn unterwegs fast jedes Auto oder jeder LKW kleine Hupkonzerte veranstalten, und die Hand mit Daumen hoch aus dem Fenster kommt. Selbst auf meiner Probefahrt mit dem Packesel durch den Grunewald bin ich öfter angesprochen worden – seltsam...

1.5.2012
Caldera-Chanaral

Während am Kotti und Umgebung wahrscheinlich schon alle Polizeikräfte und ihre Kontrahenten Stellung bezogen haben, zeigt sich die Panamericana heute wieder von ihrer schlechteren Seite. Kurz hinter Caldera wird die gut ausgebaute Autobahn wieder auf das Format einer schlechteren brandenburgischen Landstraße zurecht geschrumpft. Der Randstreifen ist schmal, schmutzig und zu allem Überfluss ziemlich wellig asphaltiert, so das nach kurzer Zeit mein Hintern glüht, als wäre ich schon 200 statt 20km gefahren. Zeitgleich ist natürlich das Bugwellenproblem wieder akut und es entwickelt sich alles in allem zu einem „Arbeitstag“. Wenigstens ausnahmsweise mal kein Gegenwind. Aber, wie bis jetzt jedes Mal, obwohl der Blick nach vorn nicht grade vielversprechend war, zumal die Chilenen ihren Müll anscheinend am liebsten einfach in die Wüste werfen, zaubert die Ruta 5 ein Lächeln in unsere Gesichter: Man muss halt auch mal nach hinten sehen...
Um 15:00 Uhr endet die 90km-Hoppelpartie in Chanaral, einem kleinen Badeort mit allerlei Sehenswürdigkeiten. Ein ziemlich abgewrackter Leuchtturm, der auf der Hinweistafel vollmundig als „Millenium-Tower“ angepriesen wird, kann über eine steile Treppe erreicht werden und bietet uns ein phantastisches Panorama über die Stadt, den Pazifik und die umgebenden Berge, die morgen bestimmt einige Gemeinheiten für uns in Petto haben. Außerdem gibt es hier völlig ohne Zaun und sonstige Sperrmaßnahmen eine Motocross-Piste, auf der sich lautstarke Quads und Kinder auf Minibikes zum Feiertagsvergnügen tummeln.

2.5.2012
Chanaral-Irgendwo im Dreck

Gut ausgeschlafen gehen wir die heutige Etappe an. Wo sie enden wird, ist noch ein wenig unklar, das Profil verspricht Arbeit und die Versorgungsmöglichkeiten werden, je tiefer wir in die Atacama-Wüste kommen, immer spärlicher. Im Augenblick sind wir mit allen 60km noch gut dabei, was allerdings bedeutet, das heute 120km auf dem Plan stehen. Also fahren wir los und schrauben uns von Chanaral, das direkt am Meer liegt, im Hinterland in die Höhe. Die Ruta 5 ist heute nett, gleich nach dem Ortsausgang ist eine Baustelle, die den Verkehr nur wechselseitig auf einer Spur durchlässt, was zur Folge hat, das Busse, Trucks und Autos immer schön im Päckchen von hinten kommen. Ausserdem ist die Strasse nigelnagelneu, wir haben Schiebewind, und so rollt es flott dahin. Die Atacama hält heute keine AH-und-OH-Momente bereit, eher gleichförmige Strukturen und nur geringe Farbwechsel animieren nicht zum Knipsmassaker. Um genau zu sein, ist das im Augenblick eher alles ein Riesensandkasten oder die größte Geröllhalde der Welt...Mittag gibt es in Las Bombas, was man laut Langenscheidt mit „Die Pumpen“ oder mit „Die Bomben“ übersetzen kann. Was hier zutrifft bleibt uns verborgen. Hier ereilt mich auch der 2. Speichenbruch und keine 8km weiter die Nummer 3. Lästig...Nach 123km sind wir an einem Verkehrsknotenpunkt im Nix, hier ist ein Flughafen, die nächste größere Ansiedlung heißt Taltal und ist 22km weg. Da von den 3 Posadas (Gasthöfe), die alle groß mit Unterkunft warben, alle ausgebucht sind, musste Bettina beim letzten um ein Plätzchen für unsere Zelte betteln, und so stehen unser Faltdomizile mal wieder irgendwo im häringsverweigernden Dreck und der Generator der Posada brummt uns ein Gute-Nacht-Lied.

3.5.2012
Irgendwo im Dreck-Irgend woanders im Dreck

Eigentlich so wie gestern, nur das heute die Beine nicht so recht wollen. Der erste Anstieg beginnt unauffällig direkt bei Abfahrt. 36km später sind wir auf dem ersten Pass des Tages und haben bei großer Hitze ganz schön gelitten. Die Hasstirade auf Wüsten im allgemeinen, die Atacama im besonderen, erst recht mit der Ruta 5 und außerdem sind alle Chilenen doof (außer Cynthia und Marcela) und wie kann man da freiwillig hinfahren, blablabla, ist im Kopf schon fertig, als auf eben diesem ersten Pass ein Truck hält, heraus springt Gabriel, lädt uns zu Tunas (Kaktusfrüchte) ein und nötigt uns dann auch noch jede Menge Trinkwasser auf, was wir im Moment sehr gut brauchen können. Das rettet den Tag und korrigiert den Ruf der Chilenen, eine maulfaule, unfreundliche, desinteressierte Bande zu sein. Gabriels Meinung dazu: Alles Kleingeister....
Dann kurz 4km den Pass herab, gleich in den Gegenanstieg, kommt nach wenigen Kilometern die einzige Posada weit und breit: Agua Verde. Nach leckerem Mittagessen (Fleisch und Spaghetti) und Unmengen an Getränken geht es an die zweite Welle. Die dehnt sich auch ordentlich und führt uns auf immerhin 1960m. Kurz danach soll eigentlich eine Polizeistation kommen, wo man auch Wasser bekommen kann, aber Fehlanzeige, nichts zu sehen von den Carabinieri. Mist! Wir fahren noch ein wenig auf das Hochplateau, halten einen Truck an, und schnorren Wasser, um dann einige hundert Meter abseits der Straße, auf 2030m in einer Mulde unser Camp aufzuschlagen. Der Sonnenuntergang über der Atacama, der strahlende Mond und der Sternenhimmel, sowie ein leckeres Abendessen versöhnen mich mit allen Dingen, die mich an diesem Tag geärgert haben.

4.5.2012
Irgend woanders im Dreck-Noch woanders im Dreck

7:00 Uhr, der Wecker klingelt. Ich habe hervorragend geschlafen in unserer Dreckmulde. Nach Frühstück und Packorgie geht es auf die Räder, um eine weitere staubige Etappe Richtung Antofagasta in Angriff zu nehmen. Gleich zum warm werden 10km Anstieg, sanft aber stetig, bringen uns auf die Cima Coppi unserer bisherigen Reise: 2174m! Kurz nach dem Pass arbeitet ein weiterer Trucker an der Ehrenrettung Chiles. Er stoppt kurz vor uns an einer Haltebucht und springt mit Orangensaft bewaffnet aus dem Führerhaus. Wir erzählen ein bißchen, fragen nach weiteren Verpflegungsmöglichkeiten, bekommen noch Limo und Cola aufgeholfen, es werden noch alle leeren Wasserflaschen ungefragt aufgefüllt, dann geht die Fahrt weiter. Da wir den höchsten Punkt ja schon hatten, geht es jetzt beständig bergab, trotz leichtem Gegenwind fliegen die Kilometer dahin, bis mich ein unschönes „Ploing“ über das Ableben von Speiche Nummer 4 informiert. Bis zum Mittagsstop in Rosario, wo man selbst für 1,5l Leitungswasser noch 1000 Pesos (ca. 1,40€) zahlt (muss ja auch mit dem Laster da hochgekarrt werden), rollt es flüssig weiter, danach wird Wind von vorn wieder Mal zum Gegner. Bei 2% Gefälle sollte der Panzer eigentlich von selbst fahren, so aber ist harte Arbeit von Nöten, um auch nur 20km/h zu halten. Kein echter Spaß nach gut 90km...
Irgendwo auf diesem Stück ist ein LKW verunglückt, das Wrack liegt frisch verbeult im Sand neben der Strecke, etliche andere Trucker leisten, soweit möglich, erste Hilfe. Sowieso Scheiße, ruft das natürlich schlimme Erinnerungen wach. :-(
Bei Kilometer 128 haben wir genug vom Wind und suchen vergeblich nach einer weiteren Mulde. Unser heutiger Schlafplatz ist genau so schön wie der gestern, nur der Dreck hat eine andere Farbe...;-)

5.5.2012
Noch woanders im Dreck-Antofagasta

Heute steht nur noch ein Hüpfer auf dem Programm: Müde 47km bis Antofagasta zeigt das große, grüne Schild an. Der beim Frühstück noch eindeutig aus der richtigen Richtung kommende Wind wechselt just in dem Augenblick, in dem wir zurück auf der Straße sind, die Richtung, und macht da weiter, wo er gestern aufgehört hat. Zusätzlich ist es bitter kalt und nebelig, Armlinge, Knielinge und Windweste sorgen für ein erträgliches Klima. Nach ca. 30km kommen wir an eine extrem üble Industrieansiedlung namens La Negra (Die Schwarze), schnell ein Kaffee an der ersten Tanke seit vielen Kilometern, dann aber flott zu Tal, Ruhetage stehen bevor! Der Weg ist praktisch verkehrsfrei, die Straße ist wegen Bauarbeiten für den Normalverkehr zu, uns hat die Absperrung nicht aufhalten können.
Antofagasta ist die zweitgrößte Stadt Chiles, nicht die schönste, aber durchaus lebendig und quirlig. Die Suche nach Unterkunft gestaltet sich nicht einfach, aber zu guter Letzt finden wir in der Casa Velasquez ein Zimmer...Warme Dusche, Internet, richtige Betten...nach drei tollen Campingnächten in staubiger Umgebung und 6 Tagen in Folge auf dem Rad, ist der Zivilisationsbürger in mir doch gierig nach solchen Sachen.

Pics:

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Tracks:

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