Sonntag, 6. Mai 2012

Durch den Dreck gezogen

30.4.2012
Copiapo-Caldera

Nachdem morgens um 4:00 in unserem ziemlich schrottigen Residencial in Copiapo nach fast 20 Stunden ohne Strom plötzlich wieder das Licht angeht, – allerdings ein stadtweites Problem – springen wir aus den Betten, um die gebeutelten Akkus unserer Netbooks aufzuladen, denn ein weiterer Tag auf der Ruta 5, ohne echte Aussicht, ob die nächste Unterkunft Netz oder Strom haben wird, steht bevor. Ob diese Straße und ich jemals Freunde werden, bleibt ungewiss. Die ständig neue Landschaft, durch die sie uns führt, ist und bleibt der Hammer. Das sie uns heute die ganzen 78km bis Caldera, einem kleinen Touristenort an der Küste, mit Gegenwind von „Na doll“ bis „Mussdasdennwirklichseingrummelgrummelgrummel“ beglückt hat, ist ja eigentlich nicht Schuld der Strasse...Aber es ist und bleibt eine Autobahn, man fühlt sich nicht wirklich wohl auf dem Randstreifen. Trotz allem waren wir nach nur 4 Stunden am Ziel, ohne sonderlich dicke Beine, und haben uns, da die normalen Unterkünfte in der Spätsaison nochmal schnelles Geld machen wollen,
zur Abwechselung mal wieder bei der Feuerwehr eingenistet. DANKE an die Bomberos de Caldera. Auch hier sorgt erst das Wort „Aleman“ (Deutsche) dafür, das sich was bewegt. Die ursprünglich eher lethargische Dame im Wachbüro bekam leuchtende Augen und telefonierte die gesamte Hierarchie ab, um das O.K. für unseren Übernachtungswunsch einzuholen. Ansonsten sind die Chilenen eher reserviert, zu Gesprächen am Wegesrand kommt es faktisch nicht, auch wenn unterwegs fast jedes Auto oder jeder LKW kleine Hupkonzerte veranstalten, und die Hand mit Daumen hoch aus dem Fenster kommt. Selbst auf meiner Probefahrt mit dem Packesel durch den Grunewald bin ich öfter angesprochen worden – seltsam...

1.5.2012
Caldera-Chanaral

Während am Kotti und Umgebung wahrscheinlich schon alle Polizeikräfte und ihre Kontrahenten Stellung bezogen haben, zeigt sich die Panamericana heute wieder von ihrer schlechteren Seite. Kurz hinter Caldera wird die gut ausgebaute Autobahn wieder auf das Format einer schlechteren brandenburgischen Landstraße zurecht geschrumpft. Der Randstreifen ist schmal, schmutzig und zu allem Überfluss ziemlich wellig asphaltiert, so das nach kurzer Zeit mein Hintern glüht, als wäre ich schon 200 statt 20km gefahren. Zeitgleich ist natürlich das Bugwellenproblem wieder akut und es entwickelt sich alles in allem zu einem „Arbeitstag“. Wenigstens ausnahmsweise mal kein Gegenwind. Aber, wie bis jetzt jedes Mal, obwohl der Blick nach vorn nicht grade vielversprechend war, zumal die Chilenen ihren Müll anscheinend am liebsten einfach in die Wüste werfen, zaubert die Ruta 5 ein Lächeln in unsere Gesichter: Man muss halt auch mal nach hinten sehen...
Um 15:00 Uhr endet die 90km-Hoppelpartie in Chanaral, einem kleinen Badeort mit allerlei Sehenswürdigkeiten. Ein ziemlich abgewrackter Leuchtturm, der auf der Hinweistafel vollmundig als „Millenium-Tower“ angepriesen wird, kann über eine steile Treppe erreicht werden und bietet uns ein phantastisches Panorama über die Stadt, den Pazifik und die umgebenden Berge, die morgen bestimmt einige Gemeinheiten für uns in Petto haben. Außerdem gibt es hier völlig ohne Zaun und sonstige Sperrmaßnahmen eine Motocross-Piste, auf der sich lautstarke Quads und Kinder auf Minibikes zum Feiertagsvergnügen tummeln.

2.5.2012
Chanaral-Irgendwo im Dreck

Gut ausgeschlafen gehen wir die heutige Etappe an. Wo sie enden wird, ist noch ein wenig unklar, das Profil verspricht Arbeit und die Versorgungsmöglichkeiten werden, je tiefer wir in die Atacama-Wüste kommen, immer spärlicher. Im Augenblick sind wir mit allen 60km noch gut dabei, was allerdings bedeutet, das heute 120km auf dem Plan stehen. Also fahren wir los und schrauben uns von Chanaral, das direkt am Meer liegt, im Hinterland in die Höhe. Die Ruta 5 ist heute nett, gleich nach dem Ortsausgang ist eine Baustelle, die den Verkehr nur wechselseitig auf einer Spur durchlässt, was zur Folge hat, das Busse, Trucks und Autos immer schön im Päckchen von hinten kommen. Ausserdem ist die Strasse nigelnagelneu, wir haben Schiebewind, und so rollt es flott dahin. Die Atacama hält heute keine AH-und-OH-Momente bereit, eher gleichförmige Strukturen und nur geringe Farbwechsel animieren nicht zum Knipsmassaker. Um genau zu sein, ist das im Augenblick eher alles ein Riesensandkasten oder die größte Geröllhalde der Welt...Mittag gibt es in Las Bombas, was man laut Langenscheidt mit „Die Pumpen“ oder mit „Die Bomben“ übersetzen kann. Was hier zutrifft bleibt uns verborgen. Hier ereilt mich auch der 2. Speichenbruch und keine 8km weiter die Nummer 3. Lästig...Nach 123km sind wir an einem Verkehrsknotenpunkt im Nix, hier ist ein Flughafen, die nächste größere Ansiedlung heißt Taltal und ist 22km weg. Da von den 3 Posadas (Gasthöfe), die alle groß mit Unterkunft warben, alle ausgebucht sind, musste Bettina beim letzten um ein Plätzchen für unsere Zelte betteln, und so stehen unser Faltdomizile mal wieder irgendwo im häringsverweigernden Dreck und der Generator der Posada brummt uns ein Gute-Nacht-Lied.

3.5.2012
Irgendwo im Dreck-Irgend woanders im Dreck

Eigentlich so wie gestern, nur das heute die Beine nicht so recht wollen. Der erste Anstieg beginnt unauffällig direkt bei Abfahrt. 36km später sind wir auf dem ersten Pass des Tages und haben bei großer Hitze ganz schön gelitten. Die Hasstirade auf Wüsten im allgemeinen, die Atacama im besonderen, erst recht mit der Ruta 5 und außerdem sind alle Chilenen doof (außer Cynthia und Marcela) und wie kann man da freiwillig hinfahren, blablabla, ist im Kopf schon fertig, als auf eben diesem ersten Pass ein Truck hält, heraus springt Gabriel, lädt uns zu Tunas (Kaktusfrüchte) ein und nötigt uns dann auch noch jede Menge Trinkwasser auf, was wir im Moment sehr gut brauchen können. Das rettet den Tag und korrigiert den Ruf der Chilenen, eine maulfaule, unfreundliche, desinteressierte Bande zu sein. Gabriels Meinung dazu: Alles Kleingeister....
Dann kurz 4km den Pass herab, gleich in den Gegenanstieg, kommt nach wenigen Kilometern die einzige Posada weit und breit: Agua Verde. Nach leckerem Mittagessen (Fleisch und Spaghetti) und Unmengen an Getränken geht es an die zweite Welle. Die dehnt sich auch ordentlich und führt uns auf immerhin 1960m. Kurz danach soll eigentlich eine Polizeistation kommen, wo man auch Wasser bekommen kann, aber Fehlanzeige, nichts zu sehen von den Carabinieri. Mist! Wir fahren noch ein wenig auf das Hochplateau, halten einen Truck an, und schnorren Wasser, um dann einige hundert Meter abseits der Straße, auf 2030m in einer Mulde unser Camp aufzuschlagen. Der Sonnenuntergang über der Atacama, der strahlende Mond und der Sternenhimmel, sowie ein leckeres Abendessen versöhnen mich mit allen Dingen, die mich an diesem Tag geärgert haben.

4.5.2012
Irgend woanders im Dreck-Noch woanders im Dreck

7:00 Uhr, der Wecker klingelt. Ich habe hervorragend geschlafen in unserer Dreckmulde. Nach Frühstück und Packorgie geht es auf die Räder, um eine weitere staubige Etappe Richtung Antofagasta in Angriff zu nehmen. Gleich zum warm werden 10km Anstieg, sanft aber stetig, bringen uns auf die Cima Coppi unserer bisherigen Reise: 2174m! Kurz nach dem Pass arbeitet ein weiterer Trucker an der Ehrenrettung Chiles. Er stoppt kurz vor uns an einer Haltebucht und springt mit Orangensaft bewaffnet aus dem Führerhaus. Wir erzählen ein bißchen, fragen nach weiteren Verpflegungsmöglichkeiten, bekommen noch Limo und Cola aufgeholfen, es werden noch alle leeren Wasserflaschen ungefragt aufgefüllt, dann geht die Fahrt weiter. Da wir den höchsten Punkt ja schon hatten, geht es jetzt beständig bergab, trotz leichtem Gegenwind fliegen die Kilometer dahin, bis mich ein unschönes „Ploing“ über das Ableben von Speiche Nummer 4 informiert. Bis zum Mittagsstop in Rosario, wo man selbst für 1,5l Leitungswasser noch 1000 Pesos (ca. 1,40€) zahlt (muss ja auch mit dem Laster da hochgekarrt werden), rollt es flüssig weiter, danach wird Wind von vorn wieder Mal zum Gegner. Bei 2% Gefälle sollte der Panzer eigentlich von selbst fahren, so aber ist harte Arbeit von Nöten, um auch nur 20km/h zu halten. Kein echter Spaß nach gut 90km...
Irgendwo auf diesem Stück ist ein LKW verunglückt, das Wrack liegt frisch verbeult im Sand neben der Strecke, etliche andere Trucker leisten, soweit möglich, erste Hilfe. Sowieso Scheiße, ruft das natürlich schlimme Erinnerungen wach. :-(
Bei Kilometer 128 haben wir genug vom Wind und suchen vergeblich nach einer weiteren Mulde. Unser heutiger Schlafplatz ist genau so schön wie der gestern, nur der Dreck hat eine andere Farbe...;-)

5.5.2012
Noch woanders im Dreck-Antofagasta

Heute steht nur noch ein Hüpfer auf dem Programm: Müde 47km bis Antofagasta zeigt das große, grüne Schild an. Der beim Frühstück noch eindeutig aus der richtigen Richtung kommende Wind wechselt just in dem Augenblick, in dem wir zurück auf der Straße sind, die Richtung, und macht da weiter, wo er gestern aufgehört hat. Zusätzlich ist es bitter kalt und nebelig, Armlinge, Knielinge und Windweste sorgen für ein erträgliches Klima. Nach ca. 30km kommen wir an eine extrem üble Industrieansiedlung namens La Negra (Die Schwarze), schnell ein Kaffee an der ersten Tanke seit vielen Kilometern, dann aber flott zu Tal, Ruhetage stehen bevor! Der Weg ist praktisch verkehrsfrei, die Straße ist wegen Bauarbeiten für den Normalverkehr zu, uns hat die Absperrung nicht aufhalten können.
Antofagasta ist die zweitgrößte Stadt Chiles, nicht die schönste, aber durchaus lebendig und quirlig. Die Suche nach Unterkunft gestaltet sich nicht einfach, aber zu guter Letzt finden wir in der Casa Velasquez ein Zimmer...Warme Dusche, Internet, richtige Betten...nach drei tollen Campingnächten in staubiger Umgebung und 6 Tagen in Folge auf dem Rad, ist der Zivilisationsbürger in mir doch gierig nach solchen Sachen.

Pics:

https://plus.google.com/photos/104500526512582281551/albums/5739145322036792961?authkey=CMuAjJfDoK2iwAE

Tracks:

http://connect.garmin.com/activity/175035759
http://connect.garmin.com/activity/175035740
http://connect.garmin.com/activity/175035723
http://connect.garmin.com/activity/175035697
http://connect.garmin.com/activity/175035672
http://connect.garmin.com/activity/175035649

5 Kommentare:

  1. Erst lesen und dann Bilder gucken.... wenn man die Bilder gesehen hat versteht man! ;o) Halt durch, Sandmolch und behalt den Humor - der ist einfach herrlich! "Mulde" gefällt mir und die paar netten Chilenen scheinen doch immerhin Gold *ähm* Wasser wert zu sein!
    Hier schüttet es das Wasser aus Kübeln vom Himmel und die Wiesen werden immer saftiger grün... aber ich bin sicher, dass ich ganz bald wieder auf eure Geschichten und Bilder sehr neidisch sein werde!

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  2. Hallo Robby, ich schau jeden Tag mal nach,ob es Berichte gibt und freue mich , wenn ich was finde. So lese und weiß ich mehr, als nebenan in Berlin. Weiterhin gute Fahrt und Grüße unbekannterweise an Bettina. MOM

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  3. Hi Robby, was ist an Deinem Rad falsch dimensioniert ....der vielen Speichbrüche wegen ?? Etwa der Fahrer ? Zuviel Muskelmasse antrainiert ;-) !! Trotzdem liest sich Dein Humor schön ! .. und wie Anne schon schrieb, die Bilder helfen besser zu verstehen .. Ein hartes Stück Arbeit was ihr Euch da antut ! Viel Erfolg weiterhin, Grüsse an Bettina !

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  4. Hi Robby,

    danke für die schönen, wenn auch etwas dreckigen, Einträge zu den letzten Tagen. Fürchte übrigens, die "zurückhaltende" Art der Einheimischen wird euch noch etwas begleiten. Die Bolivianer waren - sofern im Hochland angetroffen - auch immer eher etwas zurückhaltender Natur. Nur im Tiefland wurde so gebaggert, wie man das von Lateinamerika im allgemeinen erwarten würde.

    Bezüglich Care-Paket ist mir gerade noch eingefallen, dass, wenn alle Speichen - äh Stricke - reißen, ihr in La Paz eigentlich auch Ersatzteile kriegen müsstet. Es gibt einen Haufen Reisebüros, die dort MTB-Touren über die "Todesstraße" nach Coroico anbieten. Die müssen die Ersatzteile für ihre Mühlen ja auch irgendwo her kriegen. Wenn ich mich recht erinnere, waren die meisten Agencias in der Straße, die von der Iglesia de San Francisco wieder bergan in den Markt führt. "Sagamaga" heißt die.

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  5. Hallo Robby,
    ich lese gerade, es soll nach euren Ruhetagen in Richtung San Pedro gehen. San Pedro de Atacama? Eine durchaus charmante Wüstenoase, besucht/bewohnt von vielen Künstlern, entsprechend sind die Hostels und Restaurants gestaltet. Es gibt ein Museum u.a. mit einer Inka Mumie und eine aus Kaktusstämmen erbaute Kirche.
    Weiterhin gute Fahrt, viel Kraft und viele bleibende Erfahrungen

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